Niemandsland (17)

17.

Als er am nächsten Morgen wach wurde, war die Euphorie verflogen. Der Termin war um 21.00 Uhr und er hatte viel Zeit, um sich auf ein unkalkulierbares Treffen vorzubereiten.
In Gedanken hing er der letzten Nacht nach, die er schlecht geschlafen hatte, weil es in seinem Zimmer zu heiß gewesen war.
Er hatte vergessen, vor dem Schlafen gehen, die Heizung herunter zu drehen. So wurde er immer wieder Schweiß gebadet wach, ohne richtig wach zu werden.
Er befand sich in jener Zwischenwelt, in welche die Glieder noch schwer und gelähmt sind, wie beim Träumen und jener geschäftigen Wachheit, die den Körper am Tag drängt.
Der Schweiß stand ihm, wie ein dünner Film auf der Haut und sammelte sich zu einer kleinen Pfütze in der Kuhle oberhalb meines Brustbeins.
Er strampelte die Bettdecke von sich, aber dann fror ihn wieder.
Also zog er sie mühsam wieder zurück.
Ein seltsamer Traum hatte ihn über viele Etappen der Nacht beschäftigt.
Er hatte von einem Händler geträumt, der ganze Lämmer verkauft. Sie waren bereits geköpft, ausgenommen und die Läufe waren abgehackt, aber ansonsten waren sie am Stück, sodass man sie über einem großen Feuer grillen konnte. Nicht irgendwann, sondern zu einem besonderen Anlass. Der Verkäufer war ein älterer Araber, mit freundlichem Gesicht, wenigem Haar und ausdrucksstarken Augen.
Wer er war, warum er ihm ein Lamm verkaufen wollte, warum er es zu kaufen versuchte, wie es zu dem Traum kam, wusste er nicht. Er hatte überhaupt keine Ahnung weshalb er träumte. Träume waren Formatierungs- Speicher- und Defragmentierungsprogramme für das menschliche Gehirn. Inhalte des Erlebens wurden verarbeitet, neue Inhalte gespeichert und durch Aktivität des Gehirns, der Körper auf einer vernünftigen Temperatur gehalten. Nichts davon schien ihm, für ein Bewusstsein seiner Qualität bedeutsam. Trotzdem träumte er viel und intensiv. Beinah jede Nacht.
Ob das ein Vorgang war, durch den sich sein Bewusstsein besser mit dem Körper, in welchem er sich befand, verbinden sollte?
Er wusste es nicht. Das Träumen erschöpfte ihn in jedem Fall mehr, als es ihm half. Es brauchte zusätzliche Unordnung, in die verworrene Situation, in der er sich befand.
Wie schwer aber war es erst für die Menschen sich in dieser Welt zu recht zu finden. Auch die hier geboren waren oder ausgesetzt oder, wie immer man das nennen wollte. Mit einem begrenzten Bewusstsein, in einem dahin welkenden Körper, der schon zu sterben begann, wenn er geboren wurde, einem ungewissen Ende entgegen lebend, immer im Kampf, immer in der Angst vor dem nächsten Morgen.
Er wusste immerhin, was ihn hierher und in diese Situation gebracht hatte. Er konnte dagegen ankämpfen ein Fremder in dieser Welt zu sein. Er konnte sich sogar, in letzter Konsequenz dafür entscheiden, sein Leben einfach zu beenden, weil es ihm schlimmsten Fall seine Auslöschung bedeutete, was umgekehrt auch der beste Fall sein konnte.
Noch war er nicht so weit. Er würde versuchen die Fremdheit zu überwinden und den Platz annehmen, der ihm gegeben war. Er würde mit den Menschen, die um ihn waren, mit Arkis und Salome und in einem anderen Sinn Terrence, aus dem Leben, welches ihm gegeben war, das Beste zu machen. Denn im Gegensatz zu den Menschen lebte er ständig mit dem Gefühl, dass seine Seele ein Fremdes auf dieser Erde war. Während sie nur, wie Blitze in der Nacht, mit dieser Erkenntnis erschreckt und aufgeweckt wurden, um sie im nächsten Moment wieder zu vergessen.

© E.S. 2024

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