16.
Als er im »Aarans« eintraf erwartete ihn Arkis bereits. Er war nicht allein. Salome war bei ihm und wirkte nicht ganz so abwesend, wie zuletzt.
Er setzte sich zu ihnen an den Tisch und freute sich, dass Salome ihn willkommen hieß.
Beiden hatten Getränke.
Arkis einen Scotch.
Salome nippte an einem Wein.
»Was willst du trinken?« Fragte Arkis.
»Für mich nur Wasser. Danke.«
Arkis wollte den Arm heben, um den Kellner zu rufen, aber Jim hielt ihn ab.
»Keine Eile. Ich bestelle, wenn er vorbei kommt.«
»Wie du willst.« Meinte Arkis.
Das Gespräch verebbte.
Salome wurde die Stille zuerst unangenehm.
»Was hast du heute gemacht?« Fragte sie.
Es klang nach Neugier, so sehr, wie Anteilnahme, so sehr, wie nach dem Bedürfnis sich nicht wortlos gegenüber zu sitzen.
Er brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass Menschen ein anderes Bedürfnis hatten Vertrauen herzustellen, als er es kannte.
Sie waren einander fremd, im ersten Moment der Begegnung. Während in den Sphären, alle sofort miteinander vertraut waren. Menschen mussten die Fremdheit überwinden, durch Gesten, durch Worte, durch Übereinstimmung.
Dabei ging es meist mehr, um das gehört Werden, als um das Hören. Sie versuchten herausfinden, ob ihre Interessen deckungsgleich und vorteilhaft waren.
Menschen benötigten, um miteinander vertraut zu werden viele Gespräche.
Schweigen ließ sie zurückfallen, in die Fremde die zwischen ihnen stand.
Worte waren wie Lichter in der Dunkelheit des Unverständnisses, welches zwischen ihnen herrschte. Wie ein Führer der verhinderte, dass es zu Verirrung und Missverständnis kam. Deshalb tranken sie so gern, das vertrieb die Angst davor sich zu öffnen.
»Ich war einige Zeit im Wald, der an die Stadt grenzt.«
»Trotz des Wetters?« Fragte Salome.
Gerade deswegen, dachte er.
»War nicht schlimm. Die Bäume haben den Schnee gut abgefangen. Nach einer heißen Dusche war mir wieder warm.«
Er merkte, wie Arkis ihn beobachtete, während er sprach.
Der hatte sich gewiss, nach der ersten spontanen Sympathie, seine Gedanken gemacht, wem er begegnet war.
Als Salomes Neugier gestillt war, übernahm Arkis.
»Und wärst du bereit, für mich zu arbeiten?«
Er nickte.
»Ja, gern. Aber ich will keine Umstände machen. Ich habe«, damit log er nicht, »heute Terrence getroffen. Also er hat mich besucht. Er war so nett mir das Geld zu bringen, welches er mir geschuldet hatte.«
»Ach darum ging es.« Bemerkte Arkis.
Jim lächelte.
Das war eine schöne Bewegung des Gesichtes. Eine angenehme, die ich noch nicht oft genutzt hatte.
»Ja. Ich bin jetzt nicht reich, aber ich kann wieder etwas freier planen. Ich überlege eine Wohnung zu mieten.«
»Du willst in der Stadt bleiben?« Wollte Salome wissen.
»Warum nicht? Es war nicht so geplant. Aber mein Leben befindet sich im Moment in einer Übergangsphase. Vielleicht beruhigt es sich etwas, wenn ich, Wurzeln fasse.«
Er beobachtete die Reaktion der beiden.
Beobachtete, wie Arkis versuchte, diese Information einzuordnen und wie Salome begann mit Gedanken zu spielen.
Auch er spielte mit Gedanken.
Er überlegte, welche Rolle die beiden in der Welt wohl hatten. Waren sie Replikationen, die nach einem bestimmten Muster, die Welt bevölkerten? Waren sie Gefangene, die um ihre eigentliche Existenz und ihr fernes Sternendasein nicht wussten? Von den Wächtern zu einem Dasein getrieben, welches sie zwischen Vergänglichkeit, Sinn, Verlust, Liebe, Krankheit, Tod hin und her schwanken ließ, wie ein einzelnes Blatt, mit dem der Wind spielt. Oder waren sie am Ende Wächter, die nur eine Charade mit ihm betrieben, bei der er das Blatt war, welches hin und wider geworfen wurde.
Natürlich war auch eine andere Möglichkeit gegeben: das der eine, das eine war und der andere das andere.
Wer, fragte er sich, hatte wohl welche Rolle?
Arkis, sagte ihm sein Instinkt, war weder Replikant noch war er Wächter. Er mochte sich täuschen, aber, er fühlte in Arkis eine verwandte Seele. Er fühlte den Nebel, um dessen wahres Bewusstsein, welcher sich durch Erkenntnis noch lichten musste.
Über Salome vermochte er sich gar kein klares Bild zu machen. Mal war sie streng, wie am Tag zuvor und hätte eine perfekte Wächterin abgegeben. Mal war sie oberflächlich und die perfekte Replikantin, welche bedeutungslos dafür sorgte, dass die Welt ihren Schein erhielt. Zuletzt aber konnte auch sie, eine der seinen sein. Vielleicht sogar eine eng verwandte, sodass sie sich gerade deshalb abzustoßen schienen, weil sie sich so vertraut waren.
»Dann stelle ich dich einem meiner Leute vor. Du kannst ihn bitten, dir bei der Suche nach einer Wohnung zu helfen.«
»Cool. Das Angebot nehme ich gerne an. Sag mir Bescheid, wenn ich starten kann. «
»Morgen.«
Jim unterdrückte eine erste Reaktion.
Verzögert sagte er: »Perfekt! Wo soll ich hinkommen?«
»Das sage ich dir später. Nach einem Scotch.«
Ihm blieb nur »Ja« zu sagen.
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