Niemandsland (14)

14.

Nach dem Frühstück bot Salome an, ihn nach Hause zu fahren. Sie müssen ein paar Dinge, im Gleichen Viertel erledigen und da sei es kein Problem.
Jim war froh um das Angebot und vereinbarte mit Arkis, dass sie sich am nächsten Abend im »Aarans« treffen würden.
Die Fahrt verlief schweigend. Jim wartete nicht, bis sie das Viertel erreichten, in dem sich sein Hotel befand. Er bat Salome ihn ein paar Straßen früher rauszulassen.
Es war ihm unangenehm, dass sie sah, wie er wohnte. Eine Empfindung die er sich nicht erklären konnte, aber er vermutete, sie war in das Gewebe des Körpers eingebettet, den er benutzte.
»Dort kannst du mich rauslassen.« Bat er sie und zeigte auf eine Parkplatzzeile die frei war.
»Sicher? Ich sehe kein Hotel in der Nähe.«
»Ja, ich will noch was essen gehen. Die bieten im Hotel nur Snacks an.«
Sie hielt den Wagen.
»Okay, wie du willst.«
Sie wartete bis er ausstieg.
»Danke.« Sagte er.
»Kein Problem.« Erwiderte sie kühl.
Er merkte deutlich, dass sie ihn nicht mochte. Das war sonderbar, weil er den Grund nicht verstand. Es war nichts zwischen ihnen vorgefallen, außer einer kleinen Diskussion.
Was er verstand war, dass, wenn zwei Menschen sich begegneten, sich zwei begrenzte Formen von Bewusstsein trafen, die mit Prägungen, Vorurteilen und Begierden beladen, sehr bald eine Haltung fanden.
In seinem Fall verfehlte dieser Mechanismus seine Wirkung, da er seinen Gegenüber grenzenlos verstand. Ihm fehlte ein feindseliges Reagieren auf eine feindselige Haltung.
Deshalb drehte er sich noch einmal um, als er ausgestiegen war.
»Salome?«
»Ja?«
Ihr Tonfall war genervt.
»Ich will deinem Vater nichts Böses. Ich bin froh, dass er mir hilft. Ich habe eine Geschichte die ich nicht einfach erzählen kann. Leider bin ich darauf angewiesen, dass man mir, im Moment, einfach vertraut. Ich bin wirklich froh, um eure Unterstützung.«
Das knackte sie. Ihre abwehrende Haltung fiel, wie ein Glas, welches von einer Tischkante kippt.
»Ist in Ordnung. Er ist nur immer so naiv und gutmütig und hat schon öfter den Preis dafür gezahlt.«
»Das wird in meinem Fall nicht so sein. Das verspreche ich dir.«
»In Ordnung. Danke.«
Er nickte und wandte mich zum Gehen.
»Jim!«
»Ja?«
»Schönen Tag.«
»Dir auch.«
Er schloss die Beifahrertür und sie fuhr davon.
Den Rest des Tages verbrachte er in der Stadt.
Er lief ziellos durch die Gegend, um sich mit der Welt vertrauter zu machen. Auch, wenn er nicht bereit war zu akzeptieren, dass sie für immer seine Heimat werde sollte, war es doch klüger, so viele Informationen, wie möglich zu beschaffen, wenn er zurechtkommen wollte.
Zurück im Hotel versuchte er, sich mit seiner Situation zu arrangieren. Auf der Minus-Seite stand, dass er Terrence nicht gefunden hatte. Auf der Plus-Seite, dass er in Kontakt mit der Welt getreten war und er sich dadurch Optionen geschaffen hatte, um sich besser zurecht zu finden.
Für den Moment gab es nicht mehr zu tun.
Er würde etwas essen, bald schlafen und morgen, mit neuer Kraft den Tag beginnen.
Als er dabei war sich die Zähne zu putzen, klopfte es kräftig an seine Tür.
Ein bekanntes Klopfen.
Drei feste Schläge: BUMM! BUMM! BUMM!
Er stoppte die Bewegung der Zahnbürste.
Stille!
Legte die Zahnbürste auf das Waschbecken und schwenkte kurz seinen Mund aus.
Dann ging er zur Tür.
Er öffnete nicht, sondern sagte durch die geschlossene Tür: »Ja?«
»Terrence.« Folgte als gedämpfte Antwort und: »Mach auf.«
Das tat er.
»Wo warst du?« fragte er den Eintretenden.
Der schob sich vorbei.
»Offene Fragen beantworten. Fragen die mir erst durch unser Gespräch bewusst wurden.«
»Das hättest du mich wissen lassen können.«
»Ich wollte deinen Radius etwas beschränken. Du bist sehr eifrig weißt du. Ich hoffe, du hast die Nachricht, von unserem Mann verstanden.«
»Der Taxifahrer?«
»Ja, für diesen Moment ein Taxifahrer.«
»Das wäre nicht nötig gewesen, hättest du mich nicht einfach zurückgelassen.«
»Wie gesagt. Ich wusste nicht, ob dir zu trauen ist.«
»Jetzt weißt du es?«
»Ich bin einen Schritt weiter.«
»Das kommt wie?«
»Ich habe deinen Fall prüfen lassen. Du bist mir nicht zufällig nachgefolgt. Es war vorgesehen, dass du auf der Erde landest.«
»Unsinn. Ich bin dir zufällig gefolgt. Aus einer Laune heraus.«
»Es gibt keine Zufälle.«
»Aber wir haben einen freien Willen. Das unterscheidet uns von Geschöpfen, wie Menschen. Sonst wären wir ja, wie sie.«
»Ihr habt einen Willen, aber die Vorhersehung entscheidet, wie frei euer Wille ist. Alles gehört zusammen, alles beruht auf einem gewaltigen Gewebe, welches Werden, Sein und Vergehen umschließt. Davon bist auch du nicht frei. Man hatte dich im Blick! Deine Zweifel, dein ständiges Hinterfragen, deine Lust an einer Götterdämmerung, sorgten seit einiger Zeit für Beunruhigung.«
»Und?«
»Nun, du bist in die Falle getappt.«
»Was heißt das?«
»Man wusste, dass du etwas tun würdest, was nicht geschehen soll und hat beraten, wie man damit umgehen soll.«
»Und, wie hat man entschieden?«
»Man hat nicht verhindert, dass du mir folgst. Im Gegenteil: Man ließ dich machen, damit du die Folgen davon zu spüren bekommst. Du hast nichts aufgedeckt. Es ist deine Strafe, dass du auf der Erde bist, mit vollem Zugriff auf dein Unterbewusstsein, in einem Leben voller Beschränkung und Missverständnisse.«
»Woher soll ich wissen, dass du das nicht erfindest, damit ich nicht vor den Rat trete und von dem berichte, was auf der Erde geschieht?«
»Das ist ganz leicht. Du wirst es daran merken, dass es für dich keinen Weg zurückgibt. Wir werden, in deinem Fall, nicht als Wächter agieren. Du kannst tun und lassen was du willst und wirst die Folgen tragen.«
»Du willst sagen, ich kann die Menschheit auch aufklären und über die Wahrheit informieren?«
Terrence lächelte ruhig.
»Wir werden dich nicht aufhalten. Du wirst nur eine Stimme, von Milliarden sein, die glaubt die eine Wahrheit der Welt mitteilen zu müssen. Früher oder später, wirst du zu uns kommen und uns anflehen, dass wir dir helfen, diesem Irrenhaus, dessen intelligentester Bewohner du nun bist, entfliehen zu dürfen.«
»Und ihr denkt, ich lasse euch einfach weitermachen?«
»Was willst du tun? Du hast das Bewusstsein deiner Macht, aber du kannst damit nichts ausrichten. Du bist ein König ohne Reich, ein Heiliger ohne Religion und, wenn du eine neue Religion gründest, wird es eine weitere Welle Gläubiger geben, die mir ihrem Fanatismus die Welt überziehen. Du wirst hier leben, du wirst alles wissen, alles verstehen und doch nichts ändern können.«
Jim fühlte, wie sein menschlicher Organismus mit diesen Wahrheiten zu kämpfen hatte. Sein Geist war stark genug sich diesen Tatsachen zu stellen, aber sein Körper fürchtete sich vor Ausgrenzung, Hunger, Schmerz, Gefahr, Kälte und Kampf.
Terrence erkannte seine Verzweiflung.
»Du wirst das schaffen, Jim und, wenn nicht, mache es einfach, wie die unserer Gefangenen, die das Erwachen ihres Bewusstseins nicht ertragen: Betrink dich, betäube dich, stürz dich in Liebesabenteuer, suche nach den Substanzen, welche die Welt bereit hält um zu den Sternen zu reisen. Es gibt Pilze und Kakteen, die sind, wie ein Freigang. Mit ihnen kannst du die Transzendenz berühren. Die Dummen, die den Umgang damit nicht verstehen, die werden davon vergiftet, aber die Suchenden, die um Maß und Erkenntnis wissen, die können davon erleuchtet werden. Zumindest für Stunden.«
»Du rätst mir mein Leben im Rausch zu verbringen? Du glaubst wirklich ich würde so einfach aufgeben?«
Terrence nickte.
»Ich wüsste nicht, was du tun kannst. Aber ja, vielleicht fällt dir etwas ein, was klüger ist. Ich wurde informiert, dass wir für dich keine Verantwortung tragen.«
»Dann werde ich eben andere Gefangene suchen. Wir werden einen Weg finden, euch aufzuhalten.«
»Du übersiehst was euch unterscheidet. Du bist hier, wegen eines Fehltrittes. Sie sind hier, weil sie ihre alten Fehler korrigieren wollen. Wenn du sie dazu bringst, sich zu erinnern, werden sie sich nur erinnern, dass sie eingewilligt haben, ihre tatsächliche Existenz und ihr wahres Wesen zu vergessen, um hier auf der Erde die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Sie steigen einfach wieder auf. Sie sterben, erholen sich eine Weile in unserem Walhalla und kommen zurück, um ihren Auftrag fortzuführen. Du wirst nicht mehr für sie sein, als ein Hindernis, ein bedauerliches Missverständnis, dass zwischen ihnen und ihrer Aufgabe steht. Du wirst sie nicht bekehren oder auf deine Seite ziehen. Du wirst auf der Erde wandeln, bis sie untergeht, bis kein Leben mehr auf ihr möglich ist. Bis eine Supernova sie vernichtet. Dann wirst du erlöst sein, in ein paar hundert Millionen Jahren.«
Er wollte das nicht akzeptieren.
»Das kann nicht euer Ernst sein. Das kann der Rat nicht ernst meinen.«
»Es ist entschieden. Ertrage es, dass du in Menschengestalt aber mit göttlichem Bewusstsein, auf der Erde leben wirst. Glaub mir, du wirst bald verstehen, weshalb so viele Menschen achtlos und gierig vor sich hinvegetieren.«
Er stellte sich vor die Tür.
»Du wirst nicht gehen. Ehe du mir nicht hilfst. Ich brauche Kontakt zum Rat. Ich will Geld zurück, ich will über eure Mittel verfügen.«
Terrence kam auf ihn zu. Er überragte ihn um zumindest einen Kopf.
»Dein Leben wird nicht leichter, wenn ich dir die Rippen breche. Hilf dir selbst. Hilf den Gefangenen, damit sie, wenn ihr Bewusstsein dämmert erwachen und ihre Mission auf der Erde umso besser erfüllen. Vielleicht erfährst du ja irgendwann Gnade, wenn du das Richtige tust.«
Er fühlte, wie sein Bewusstsein zu rasen begann.
Terrence war ihm tatsächlich überlegen. Er hatte physisch keine Chance gegen ihn.
Es war eine furchtbare Demütigung, ihm geistig ebenbürtig, vielleicht überlegen zu sein, aber ohnmächtig dies zu nutzen.
Er trat von der Tür weg.
»Gute Entscheidung.«
»Wirst du wiederkommen?«
»Das ist nicht vorgesehen.«
»Wo finde ich dich?«
»Das ist ebenfalls nicht vorgesehen.«
»Ihr könnt mich doch nicht völlig allein zurücklassen.«
»Das ist deine Bestimmung.«
Sagte Terrence entschieden und ging.

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